Tracy Chapman Im Bild-Interview: Zwanzig Minuten mit einem schüchternen Musik-Genie (Nov 11, 2015)

11. NOVEMBER 2015

Es ist ein Telefongespräch – allerdings kein gewöhnliches. Gleich telefoniere ich mit der musikalischen Ikone meiner Jugend: Tracy Chapman (51).

Zwanzig Minuten sind mit der amerikanischen Folk-Sängerin und vierfachen Grammy-Gewinnerin geplant. Ich habe Ehrfurcht. Und ein bisschen Angst.

Bei den Interview-Vorbereitungen geht mir immer wieder das Jahr 1988 durch den Kopf. Ich, damals 19 Jahre alt, breche mit einer Freundin zu einer vierwöchigen Reise quer durch die USA auf. Das Abi ist in der Tasche, jetzt wollen wir die Welt sehen.

Im Gepäck: ein Walkman und ein paar Musikkassetten. Eine davon Tracy Chapmans erstes Album „TRACY CHAPMAN“. Ihre Musik ist für mich unweigerlich verquickt mit meinen ersten Eindrücken der Neuen Welt.

Ihr erstes, gleichnamiges Album katapultierte Tracy Chapman 1988 ganze 95 Wochen auf Platz 1 der deutschen Musik-Charts

Wie hört sich ein Weltstar am Telefon an?

Ich bin sehr nervös, als ich die Nummer in Los Angeles wähle. Ihr Manager nimmt ab, weist mich darauf hin, bitte die geplante Gesprächszeit nicht zu überschreiten. Denn Tracy selbst sei zu höflich, um mich daran zu erinnern. Ein höflicher Weltstar. Das ist nicht die Regel.

Höflich ist Tracy dann in der Tat. Und zurückhaltend – aber auf eine liebenswerte Art. Nicht reserviert, eher schüchtern. Ich erzähle ihr von meiner Reise, von dem Walkman und der Musikkassette. Sie lacht und freut sich sich über ihren Fan der ersten Stunde.

Ihre Texte, die von Rassenkonflikten und generell gesellschaftlichen Problemen handeln, haben mir die USA erklärt. Ich will wissen, ob sie glaubt, dass auch die heutige Generation etwas von ihren Songtexten lernen kann.

„Ich hoffe es. Aber ich bin enttäuscht, dass die Situation noch immer so ist wie damals. Ich hatte gehofft, dass sich mehr ändern würde mit der Zeit. Es sah eine Weile so aus, als würde eine Verbesserung eintreten, aber zur Zeit scheint es so, als würde sich diese Entwicklung umkehren. Polizeibrutalität hat schon immer gegeben, jedoch gab es dafür nicht diese ganzen Beweise, die es heutzutage gibt. Dank Überwachungskameras, Handy-Videos scheint es unausweichlich, dass wir uns damit noch mehr beschäftigen müssen.“

Im US-Bundesstaat Ohio geboren, in Connecticut an der Ostküste aufgewachsen, wo sie dank eines Stipendiums an einer Privatuniversität studieren konnte, hat sich Tracy Chapman in San Francisco im sonnigen Kalifornien niedergelassen.

Sie fragt mich, ob ich es auf meinen USA-Trip auch nach San Francisco geschafft habe. Das habe ich. Gerne erinnere ich mich noch heute an die Bar „Hamburger Mary’s“ – vor allem an die Margaritas. Tracy Chapman lacht. „Oh ja, ich kenne ,Hamburger Mary’s‘. Das gibt es leider nicht mehr“, berichtet mir die 51-Jährige.

Während ihrer Schulzeit hat Tracy mehrere Jahre lang Deutsch gelernt, erfahre ich im Gespräch. „Ich hatte drei Jahre lang in der Schule Deutschunterricht. Mein Lehrer hieß Herr Bauscher. Ich erinnere mich, dass wir Sätze sagen sollten, die etwas mit„ am Strand laufen“ zu tun hatten. Als ich die Schule wechseln musste, wurde Deutsch nicht mehr angeboten und ich machte mit Französisch weiter“, erzählt sie mir.

Am 20. November erscheint Tracy Chapmans „Greatest Hits“-Album mit 18 Songs aus mehr als 25 Jahren Musikkarriere. Wie wählt man nur 18 aus Hunderten von Liedern aus?

„Manche Songs, die auf dem Album sind, waren offensichtlich, wie zum Beispiel ,Fast Car‘ und ,Talkin’ Bout a Revolution‘. Die anderen Lieder auf dem Album sind die, die sich meine Fans am meisten auf meinen Konzerten gewünscht haben. Meine Schwester hatte Mitspracherecht und einige Freunde legten mir das eine oder andere Lied ans Herz“, erzählt Tracy Chapman.

Die 20 Minuten sind fast um, eine Frage bleibt mir noch. Eine Frage für ihre Fans – also auch für mich. Wann werden wir sie wieder auf Konzerten in Deutschland sehen können?

„Ich werde bestimmt nach Deutschland zurückkommen. Ich habe mich noch nicht zur Ruhe gesetzt“, sagt sie lachend. „Im Moment ist jedoch keine Tournee geplant. Ich finde es schön zur Zeit nicht auf Tournee zu sein. Es nimmt doch einiges vom Alltag weg, ich genieße es, einfach zu Hause zu sein“, sagt Tracy Chapman.

Zu Hause in San Francisco. Schön ist es dort. Selbst wenn es das „Hamburger Mary’s“ jetzt nicht mehr gibt.

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