2001 – The collection

Von Michael Tschernek, East West, August 2001

Interview zum honorarfreien (auch auszugsweisen) Abdruck zu publizistischen Zwecken innerhalb Deutschlands.

Mit den sparsam arrangierten Folksongs und den sozialkritischen Texten ihres Debütalbums hatte Tracy Chapman im Sommer 1988 beim legendären Tribute-Konzert für Nelson Mandela im Londoner Wembley-Stadion ihren großen Durchbruch. Inzwischen kann sie auf eine spannende und bewegte Karriere zurückblicken, in der sie ihrem Erfolgsrezept treu geblieben ist, und über deren Früchte ihr aktuelles Album “The Collection” eine Übersicht bietet.

Frage: Gab es irgendein Schlüsselerlebnis, das Sie zur Musik gebracht hat?

Tracy Chapman: Ich schreibe Songs, seit ich 8 Jahre alt bin. Und es ist schwer, jetzt soweit zurückzugehen, sich zu erinnern. Ich glaube, ein Grund, warum ich anfangen wollte, Gitarre zu spielen, war die TV-Show “Hee Haw”, die meine Familie damals öfter ansah. Ich weiß nicht, ob diese Show auch in Deutschland gezeigt wurde. Das war eine Country-Show mit Buck Owens. Ein wenig Musical, Varieté, Comedy, und dann spielten sie noch Country-Songs auf diesen umwerfend aussehenden Akustikgitarren. Ich habe meine Mutter so lange nach einer dieser schönen Gitarren gefragt, bis sie mir eine gekauft hat. Die Anfänge habe ich mir selbst beigebracht und später während der High School habe ich dann auch Unterricht genommen.

Frage: Sie sind in Cleveland, Ohio, geboren und aufgewachsen. In Cleveland steht die Rock’n’Roll Hall Of Fame, außerdem bezeichnet sich die Stadt gerne als Rock-Hauptstadt der Welt. Wie lange haben Sie dort gelebt und was waren die ersten Konzerte, die Sie dort gesehen haben?

Tracy Chapman: Ich habe in Cleveland gelebt, bis ich ungefähr 15 Jahre alt war. Dann bin ich mit einem Stipendium zur High School nach Connecticut gegangen und schließlich aufs College nach Boston. Eines der ersten Konzerte, das ich in Cleveland gesehen habe, war von Sarah Vaughan, der Jazz-Sängerin. Meine Mutter hatte mich mitgenommen. Zu Ray Charles hatte sie mich ebenfalls mitgenommen. Zu dieser Zeit habe ich keine Rock’n’Roll-Konzerte gesehen, obwohl es in Cleveland ein großes Angebot an Rock- und Folk-Konzerten gab. Das erste Rock-Konzert, das ich gesehen habe, war von King Crimson. Das war während meiner College Zeit und das war vielleicht noch nicht mal ein richtiges Rock-Konzert…

Frage: Haben Sie musikalische oder sonstige Vorbilder?

Tracy Chapman: Ich will nicht von Vorbildern reden, aber es gibt natürlich Leute, die ich bewundert habe. Leute aus meiner Gemeinde, Künstler…Ich habe sehr viele Gedichte gelesen, als ich jünger war, T.S. Elliott zum Beispiel. Ich mag die Arbeit von bestimmten Autoren, Kurt Vonnegut beispielsweise. Wenn diese Leute mir etwas über mich selbst beigebracht haben, dann ist das meine Vorstellung davon, dass hier jemand ist, der ein Leben lebt, das er leben will. Und sie machen ihre eigene Kunst. Auf gewisse Weise dient das natürlich als Beispiel.

Frage: Können Sie ein paar Beispiele für Einflüsse aus dem musikalischen Bereich nennen?

Tracy Chapman: Es wurde häufig über mich gesagt und geschrieben, dass ich aus einer akustischen Folk-Tradition stamme, in einer Linie mit Bob Dylan, Joni Mitchell, Neil Young oder Leute wie Woody Guthrie. Das ist jedenfalls nicht die Musik, die ich in meiner Kindheit gehört habe.

Aber ich habe Curtis Mayfield gehört, Aretha Franklin, Marvin Gaye, James Brown…Sachen wie “What’s Going On”, “Say It Loud – I’m Black And I’m Proud”, “People Get Ready”…In all diesen Songs geht es um die soziale Situation im Leben von Schwarzen. Und ich habe das Gefühl, dass ich zum Teil auch aus dieser Richtung komme. Wenn es irgendwelche Einflüsse gibt, dann hat es höchstwahrscheinlich dort begonnen.

Frage: Das Label “Elektra”, auf dem Ihre Musik veröffentlicht wird, hat eine 50jährige Tradition von Folk- und Rockkünstlern. U.a. Singer/Songwriter wie Phil Ochs oder Tim Buckley waren bei diesem Label unter Vertrag. Fühlen Sie sich in diesem Umfeld wohl?

Tracy Chapman: Ich habe keine besonderen Empfindungen in Bezug auf das Label, und bin auch nicht so sehr mit deren Künstlerstamm vertraut. Ich arbeite mit bestimmten Leuten bei diesem Label und die haben mich alle sehr unterstützt bei diesem Album. Sie haben mir die Gelegenheit und die Freiheit gegeben, das Album so zu machen wie ich wollte. Dafür bin ich dankbar.

Frage: Mit Songs wie “Fast Car” und “Talkin’ Bout A Revolution” standen sozialkritische Themen von Anfang an im Mittelpunkt Ihrer Songtexte. Können Sie trotz Ihres Erfolges noch unbefangen über sozialkritische Themen schreiben? Haben Sie sich nicht zu weit von den einfachen Verhältnissen der schwarzen Minderheit in den USA entfernt?

Tracy Chapman: Ich bin schwarz und werde immer schwarz sein. Ich bin eine Frau und werde immer eine Frau bleiben. Ich bin arm geboren. Auf deinem Bankkonto mag sich einiges bewegen, aber dein Klassenhintergrund wird sich niemals ändern. Ich habe keinen Einfluß darauf, wie mich andere Leute wahrnehmen. Aber es gibt gewisse Erfahrungen, die dich niemals verlassen werden. Zum Teil liegt das daran, dass sich einige Dinge niemals ändern. Es gibt immer noch Leute, die mich unfair behandeln. Ich begegne nach wie vor Vorurteilen und Rassismus. Für einige Leute ist es völlig egal, wieviel Geld ich verdient habe, das verändert nicht die Art und Weise, in der sie mich sehen. In gewisser Weise ist das auch gut so. Aber wenn sie mich nicht als Person sehen, sondern nur meine Hautfarbe oder mein Geschlecht, oder irgendetwas anderes oberflächliches…Damit will ich nicht sagen, dass Hautfarbe oder Geschlecht nur oberflächliches darstellen, aber sie machen mit Sicherheit nicht die Gesamtheit einer Person aus. Insbesondere dann nicht, wenn die Wahrnehmung dieser Personen auf Stereotypen beruht (legt eine Pause ein)…Ich kann nicht behaupten, dass ich über den Zustand der armen schwarzen Bevölkerung in diesem Land sprechen könnte. Und ich glaube auch nicht, jemals behauptet zu haben, dies zu können. Ich kann nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen. Ich denke, dass sich die Demütigungen, die man durch Armut erfährt, nicht verändern. Alles, was ich jemals erfahren habe, wird auch immer noch die Erfahrung von Leuten sein, die kämpfen müssen. Und wenn ich andererseits nicht die Gelegenheit wahrnehme, für Leute zu sprechen, die nicht die Möglichkeit haben, für sich selbst zu sprechen, wer macht es dann? Ich kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern, als ich jünger war, noch nicht den Erfolg meines ersten Albums erreicht und damit Geld verdient hatte… Ich weiß, dass es Leute gibt, die Menschen wie mir keine Aufmerksamkeit schenken. Ich weiß, Sie sitzen hier und sprechen jetzt mit mir…

Frage: …weil Sie Tracy Chapman, die Künstlerin sind…

Tracy Chapman: Genau. Ich will nicht ausschließen, dass wir uns auch auf der Straße treffen und ein vollkommen angenehmes Gespräch führen könnten. Aber ich mache mir da nichts vor…Tracy Chapman, die Tellerwäscherin, würde vermutlich hier jetzt nicht sitzen. (lacht)

Frage: Sie sind schwarz. Sie sind eine Frau. Sie sind außergewöhnlich erfolgreich und deshalb mit Sicherheit für viele junge schwarze Frauen ein Vorbild. Empfinden Sie das als Herausforderung oder als Last?

Tracy Chapman: Das sehe ich anders. Ich habe natürlich letztendlich keinen Einfluß darauf, wie die Leute mich wahrnehmen und was ich ihnen bedeute. Aber mir gefällt diese Wichtigtuerei nicht, die in der Luft liegt, wenn man sich selbst als Vorbild für andere bezeichnet. Mein Leben ist jedenfalls keine so große Sache, dass ich so kühn wäre, mich als Vorbild für jemanden auszuweisen.

Frage: Wenn sich jemand durch Ihre Arbeit ermutigt sieht, es ebenfalls mit der Musik zu versuchen?

Tracy Chapman: Ja sicher, damit habe ich kein Problem.

Frage: Wenn man Ihren politisch engagierten Background in Betracht zieht, fällt auf, dass Sie bei Ihren Konzerten und der Produktion Ihrer Alben nur wenige Frauen beschäftigen…

Tracy Chapman: Die Musikindustrie wird im allgemeinen immer noch von Männern dominiert. Die meisten Musiker, sowohl im Studio als auch für Liveauftritte, sind Männer. Es gibt oder zumindest gab vorübergehend eine Zeit, insbesondere im Zuge der Lilith Fair Tourneen, in der Frauen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass deshalb in der gesamten Aufnahmeindustrie mehr Frauen tätig sind. Du findest kaum weibliche Produzenten, Tontechnikerinnen oder Tourmanagerinnen. Und das liegt zu einem großen Teil daran, dass es immer noch viel Sexismus im Musikgeschäft gibt. Dennoch versuche ich, bei der Besetzung meiner Livebands mehr Frauen und auch Farbigen eine Chance zu geben. Aber am Ende wird sich meine Entscheidung immer danach richten, wer richtig für den Job ist.

Frage: Wie sieht das bei Ihren Konzerten in den USA vor der Bühne aus? Befinden sich da mehr Frauen als Männer im Publikum? Und ist Ihr Publikum dort überwiegend schwarz oder weiß?

Tracy Chapman: Ich denke nicht soviel über die demographischen Zahlen bei meinem Publikum nach. Nach den Menschen zu urteilen, die mich auf der Straße ansprechen, scheint es sich jedoch um eine ziemlich abwechslungsreiche Gruppe zu handeln, sowohl was das Geschlecht, als auch was die Hautfarbe angeht. Unter dem Strich wird es sich vermutlich um ein überwiegend weißes Publikum handeln. Man darf nicht vergessen, dass die schwarzen Menschen in den USA nur etwa 10 – 12% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Selbst erfolgreiche Rapkünstler verkaufen den größten Teil ihrer CDs an ein weißes Publikum.

Frage: Fühlen Sie sich merkwürdig, wenn Sie beispielweise in Europa vor einem überwiegend weißen Publikum auftreten?

Tracy Chapman: Nein. So fühlt sich mein ganzes Leben an. Der einzige Ort, den ich besucht habe, und in dem ich nicht zur Minderheit gehörte, ist Afrika. Und das war allerdings ein ganz erstaunliches Gefühl.

Frage: Sie sind 1988 bei dem Konzert zu Ehren von Nelson Mandela in London aufgetreten. Sie sind Nelson Mandela später auch selbst begegnet. Ich gehe davon aus, dass Sie auch weiterhin die politischen Ereignisse in Südafrika verfolgt haben. Was denken sie über den derzeitigen Präsidenten Südafrikas Thabo Mbeki im Vergleich zu Nelson Mandela?

Tracy Chapman: Dazu will ich mich lieber nicht äußern. Ich versuche mich zwar über die Weltpolitik auf dem Laufenden zu halten, habe im Moment jedoch nicht das Gefühl, informiert genug zu sein, um das besonders intelligent kommentieren zu können. Ich sage dazu nur eins: Nelson Mandela hat eine überlebensgroße Persönlichkeit und jeder, der darauf folgt, kann in gewisser Weise niemals an ihn heranreichen.

Frage: Noch ein paar Fragen zu Ihrer Arbeitsweise im Studio: Sie haben sehr häufig mit dem Produzenten David Kershenbaum zusammengearbeitet. Was schätzen Sie an seiner Arbeitsweise?

Tracy Chapman: Als ich das erste Mal im Studio war, um meine erste Platte aufzunehmen, hatte ich noch keine Ahnung, wie man ein Studio benutzt. Aber ich hatte schon eine sehr klare Vorstellung davon, wie das Album klingen sollte. David hat wirklich auf das gehört, was ich damals wollte und auch eigene Ideen eingebracht. So war bereits mein erstes Album das Album, das ich machen wollte. Ich denke, dass viele Alben, deren Produktion allein von Produzenten geleitet wurde, im Wesentlichen auch deren Kreation sind. Der Künstler steht zwar im Mittelpunkt, aber alles, was ihn umgibt, ist das, was sich der Produzent ausgedacht hat. Bei solchen Platten bemerkt man auch, dass ihnen der Produzent einen bestimmten Stempel aufgedrückt hat. Und so ein Produzent ist David nicht.

Ein weiterer Grund für eine Zusammenarbeit war für mich, dass er jemand ist, der sich auch bezüglich der technischen Seite der Musikproduktion auf dem Laufenden hält. Und das ist ein Bereich, der mich auch besonders interessiert. Ich lese all diese Magazine über Musikproduktionen und will auch mein eigenes Studio aufbauen. Gemeinsam konnten wir ein Album machen, das nicht nur das Konzept repräsentiert, das ich von Anfang an hatte, sondern auch ein Album mit der höchstmöglichen Klangqualität. Er hat sehr gute Ohren, und man sagt, dass das auch für mich gilt. Wir sind beide Perfektionisten, was natürlich auch lästig sein kann, aber zum größten Teil hat das meiner Meinung nach der Musik geholfen.

Frage: Sie scheinen der Klangqualität einen sehr hohen Stellenwert einzuräumen. Stehen Song und Text für Sie nicht im Vordergrund?

Tracy Chapman: Das gehört einfach alles zusammen. Natürlich musst du mit dem Song beginnen. Dann braucht man selbstverständlich eine gute Einspielung. Typischerweise werden moderne Platten heute so gemacht, dass du zwar zunächst den Song und den Interpreten hast, dann geht aber erst mal die Band ohne den Sänger ins Studio. Die bearbeiten mit dem Produzenten den Song, entscheiden über die Arrangements und erst am Ende kommt der Sänger. Die Stimme wird über den Song gelegt und das Album ist fertig. So habe ich nie Platten gemacht. Ich hatte immer eine Meinung darüber, wie meine eigenen Songs klingen sollten, und im Verlauf der Jahre habe ich auch mehr Einfluss auf den technischen Teil genommen. Das ist keineswegs nebensächlich. Wenn das Album erscheint, sollte all das natürlich transparent sein, du solltest es als Hörer nicht wahrnehmen können. Aber es ist dennoch sehr wichtig. Wenn ich zum Beispiel im Studio bin und durch ein schlechtes Mikrofon singe, dann repräsentiert das nicht mehr den vollen Klang meiner Stimme. Und dann gibt es eben das eine oder andere Mittel, manches digital, manches nicht, um das wieder auszubessern. Jedes Teil dieser Einrichtung verleiht dem finalen Klangbild etwas charakteristisches. Man entwickelt für diesen Bereich eine Art mikrokosmische Betrachtungsweise. Für manche Leute mag das eine ermüdende Angelegenheit sein, aber man würde es spüren, wenn bei dem Album am Ende etwas nicht stimmt. Mein Ziel ist es, durch die Arrangements eine perfekte Atmosphäre für meine Songs und meine Stimme zu schaffen und den Details bei der Produktion eben so viel Aufmerksamkeit zu schenken, wie dem Schreiben der Songs.

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