2008 – Sängerin Tracy Chapman “Für Barack Obama sind viele nicht bereit”

By Maria Baufeld, Die Welt, 4 November 2008

Vor 20 Jahren sang sie von der Revolution: Wenn heute in den USA gewählt wird, könnte dies Wirklichkeit werden. Sängerin Tracy Chapman wird ihr Kreuz definitiv bei Barack Obama machen. Im Gespräch mit WELT ONLINE ist sie dennoch skeptisch, was seinen Erfolg angeht. Dafür hat sie viele Gründe.

Seit drei Tagen sitzt sie in der abgedunkelten Suite eines Hamburger Nobelhotels und gibt Interviews im Halbstundentakt. Scheu sitzt sie tief in dem breiten Sofa, winkt ein leises „Hi“. Obwohl die öffentlichkeitsscheue Heroin sozialkritischer Folk-Balladen schon 44 Jahre alt ist, sieht sie allenfalls aus wie eine ernste Mittzwanzigerin. Ihre Dreadlocks sind zurückgebunden, sie trägt eine schwarze Strickjacke über dem weißen T-Shirt und eine dunkle Jeans. Und sie möchte sofort anfangen.

WELT ONLINE: Frau Chapman, beginnen wir doch mit einer Bestandsaufnahme von 20 Jahren geflüsterter Revolution. Wie ist es um Ihren Kampfgeist bestellt und wie geht es voran?

Tracy Chapman: Ich ziehe nicht mehr ins Feld. Die Zeit und meine Erfahrungen haben mich pragmatisch gemacht. Es gibt immer mehr Krieg und Leid. Manchmal glaube ich, es ist ein Teil des Lebens, dass diese Dinge nicht gelöst werden. Viele Menschen denken, eines Tages hätten wir Frieden und keine Sorgen mehr, aber ich glaube nicht daran.

WELT ONLINE: Wenn Sie früher über soziale Ungerechtigkeit oder Beziehungen sangen, war zwischen den Zeilen auch Hoffnung. Ihr neuer Song „Our Bright Future“, der auch den Albumtitel stellt, ist hingegen wenig optimistisch. Sie beschreiben jene glänzende Zukunft als bereits vergangen.

Chapman: Ja, denn dieses Lied habe ich in einem sehr dunklen Moment geschrieben. Es war nach dem Hurrikan Katrina. Nachdem ich gesehen hatte, wie die Menschen in den USA, einem der reichsten Länder der Erde, ohne Hilfe zurückgelassen wurden. In der Stunde der Not hat die Regierung versagt und Menschen sterben lassen.

WELT ONLINE: Also mehr eine Momentaufnahme als reale Befürchtung?

Chapman: Nein, ich habe diese Angst tatsächlich. Die Gesellschaft erwartet Opfer und Risiko für Dinge, die es vielleicht gar nicht wert sind. Unsere Gesellschaft schickt zum Beispiel junge Menschen in einen wirtschaftlich motivierten Krieg, lässt die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklaffen und zerstört dabei den Planeten auf dem wir leben. Da ist es doch nahe liegend anzunehmen, dass die negativen Aspekte der menschlichen Natur die positiven aufwiegen und die Zukunft trübe aussieht und Hoffnung naiv ist.

WELT ONLINE: Sie schlagen auf Ihrem neuen Album ja auch versöhnliche Töne an. In „Save Us All“ beten Sie nicht nur um Rettung für uns alle, sondern bitten Gott sogar auch die Sünder zu lieben. Und das, obwohl Sie stets betonen nicht religiös zu sein.

Chapman: Ich bin keine Christin, aber trotzdem mit dem christlichen Glauben, nämlich als Baptistin, aufgewachsen. In den Vereinigten Staaten ist Religiosität immer Teil der politischen Argumentation. Politiker benutzen Gott als eine Art Versicherung und Erlaubnis für das, was sie tun. Als Amerikanerin kann man dieses Thema also gar nicht vermeiden. Wir sind in so viele Konflikte verwickelt und etliche Menschen versuchen diese aus einem religiösen Blickwinkel zu sehen. Ich denke das ist kontraproduktiv und gefährlich. Besonders dann, wenn sie die einzig richtige Meinung oder das einzig richtige Wertesystem beanspruchen. Darum geht es in dem Lied. Die von uns, die anders denken, sollen widersprechen dürfen.

WELT ONLINE: Also steckt selbst in Ihrem gesungenen Gebet nicht die Hoffnung auf Erlösung?

Chapman: Nein. Ich glaube nicht mehr an Erlösung. Trotzdem steht jeder meiner Songs auch für sich. So wie Tage oder Stunden unser aller Lebens für sich stehen können und nicht unbedingt ein ganzes Leben repräsentieren.

WELT ONLINE: Dabei ist Ihre Heimat doch gerade erfüllt mit Obamas „Yes we can“ und „Wir sind bereit, wieder zu glauben“. Reißt diese Begeisterung Sie gar nicht mit?

Chapman: Ich bin erst begeistert, wenn er gewonnen hat. Und ich glaube auch erst an Veränderungen, wenn ich sie sehe.

WELT ONLINE: Sie werden also für Obama stimmen?

Chapman: Ja, er ist meine Wahl. Es muss endlich jemand im Weißen Haus einziehen, der die Interessen des amerikanischen Volkes vertritt.

WELT ONLINE: John McCain könnte das nicht?

Chapman: Nein, davon bin ich überzeugt. Ein Republikaner kann das nicht. Er teilt viele der Werte, die auch Bush vertreten hat. Wir haben seinetwegen viel Respekt in der Welt verloren. Ich bin vorsichtig Obama schon als Gewinner zu sehen. Der Rassenfaktor ist eben tatsächlich nicht zu unterschätzen. In Amerika wird nicht oft darüber gesprochen, aber wenn man sich jenseits der Großstädte bewegt, hat sich wenig verändert. Viele sind nicht bereit einen schwarzen Präsidenten zu haben – auch wenn sie es in der Öffentlichkeit nicht zugeben würden. In den Umfragen geben sich viele liberal, aber am Tag der Wahl machen sie ihr Kreuz doch an einer anderen Stelle.

WELT ONLINE: Sehen Sie in Bezug auf Diskriminierungen denn keine positiven Veränderungen in den letzten 20 Jahren?

Chapman: Dass eine Frau und ein Schwarzer zumindest die Chance hatten Präsident zu werden, ist natürlich positiv. Die Welt dreht sich unaufhörlich und es gibt auch Dinge, die sich zum Positiven entwickeln. Aber im Vergleich zu dem, was sich negativ entwickelt, ist es doch viel zu wenig.

WELT ONLINE: Privat halten Sie sich sehr bedeckt, verweisen stets auf ihre Musik. Ist das Lied „I Did It All“, das ebenso die Liebeseskapaden und Drogenexzesse von Amy Winehouse beschreiben könnte, persönlich motiviert?

Chapman: Nein, es ist nur eine Story.

WELT ONLINE: „Ich habe alles gemacht“ wäre für eine 44-Jährige auch ein mutiges Bekenntnis. Derlei käme Madonna sicher nie über die Lippen.

Chapman: Absolut (lacht)! Aber ich möchte daran erinnern, dass ich schreibe und komponiere, aber dabei nicht immer biografisch vorgehe. Schon bei meinem Hit „Fast Car“ dachten alle es ginge da um mich, aber das ist nicht der Fall. Aber es gibt schon Momente in denen ich das Gefühl habe alles wiederholt sich, ich bin mit allem durch. Aber Drogenkonsum und der Exhibitionismus vieler Celebrities sind nicht meine Geschichte.

WELT ONLINE: Auf viele wirken Sie da sicher wie eine Ausnahme.

Chapman: Den Eindruck bekommt man. Ich sehe das mit Entsetzen in der Presse. Letztlich kenne ich diese Menschen nicht, aber ich frage mich natürlich auch wie es dazu kommt. Plattenlabel oder Manager sind da sicher nicht unschuldig. Künstler wie Amy Winehouse werden durch ihr Management in ihre Lage getrieben. Schlechte Presse ist oft die beste Presse. Andererseits sehe ich Musiker oft mit riesiger Entourage umherziehen, mit Bodyguards und allem drum und dran. Das erregt Aufsehen. Ich hatte so etwas nie, habe mich selbst nie als berühmt angesehen. Damit würde ich mich auch nicht wohl fühlen.

WELT ONLINE: Sie leben zurückgezogen in San Francisco.

Chapman: Ich führe ein ruhiges Leben, koche gern und habe einen kleinen Garten in dem ich Gemüse anbaue. Ich wollte nie in New York oder Los Angeles auf Partys gehen. Wenn man das nicht tut, ist es leicht dem Rummel zu entkommen.

WELT ONLINE: Es ist also eine Entscheidung für das öffentliche Leiden und Lieben, welche die Stars selbst getroffen haben?

Chapman: Aus meiner Erfahrung würde ich sagen: Ja.

WELT ONLINE: Aber weil Sie gar nichts preisgeben, provozieren Sie auch. Den Vorwurf glatten Gutmenschentums zum Beispiel.

Chapman: Das interessiert mich alles nicht. Ich verbiege mich nicht. Und bei meiner Arbeit habe ich auch nicht das Gefühl eine Wahl zu haben. Ich kann nur Songs schreiben. Das tue ich. Beinahe jeden Tag. Es macht mir Freude, es strömt aus mir heraus. Ich bin nicht jemand, der sich immer neu erfinden möchte. Ich kann das gar nicht.

WELT ONLINE: Geht das denn im Musikbusiness heute noch?

Chapman: Zugegeben, es ist das Privileg von Künstlern, die nicht mehr um ihr täglich Brot kämpfen müssen. Wenn ich das müsste, würde ich sicher weit häufiger darüber nachdenken. Aber in dieser Lage bin ich seit 20 Jahren nicht mehr und war es durch meinen sofortigen Erfolg auch nie. Deshalb weiß ich im Grunde gar nicht wie es ich anfühlt unter Druck Musik zu machen.

WELT ONLINE: Denken sie überhaupt über Erfolg nach?

Chapman: Nein. Aber wenn ich ein Album fertig habe, bin ich gespannt wie meine Fans es aufnehmen werden. Ich hoffe, dass die Menschen mich verstehen und ich in ihr Herz vordringe. Wer nur versucht vorherzusagen was kommerziell erfolgreich werden könnte, schafft es langfristig nicht zu überzeugen. Die Plattenfirmen versuchen es zwar immer wieder, aber meist sind die Resultate dann schlechtere Versionen von etwas schon Vorhandenem. Die Leute lassen sich meiner Meinung nach nicht manipulieren. Man kann nicht wirklich wissen, was sie morgen mögen werden. Trends entstehen nicht zuletzt durch neue Impulse – und die geben nur Künstler, die authentisch sind.

WELT ONLINE: Ihr achtes Album wirkt entrümpelt und moderner, aber eben auch abgeklärt.

Chapman: Ich bin trotzdem sehr glücklich damit. Es ist das, was ich jetzt sagen will. Ich konnte mit fantastischen Musikern wie Dean Parks, Joe Gore und Rob Burger zusammenarbeiten. Und Larry Klein, der sonst mit Herbie Hancock produziert, ist einfach der größte

WELT ONLINE: Gibt es jemanden, den Sie um Rat fragen, an dem Sie neue Kompositionen testen?

Chapman: Ja, meine Schwester ist die erste Person, die meine Lieder hört. Sie hat mich immer unterstützt und mich zu meinen ersten Kompositionen ermutigt. Sie rettet mich manchmal, indem sie die Nase rümpft.

WELT ONLINE: Was haben Sie neben ihrem Pragmatismus mit dem Alter noch gewonnen?

Chapman: Ich akzeptiere mich jetzt besser und fühle mich wohler. Ich hatte eine ausgesprochen lange Pubertät. Die Ungeschicklichkeiten dieses Lebensabschnitts wirkten bei mir sehr lange nach. Ich weiß nicht warum. Heute fühle ich mich immer noch viel jünger als ich es bin und noch lange nicht erwachsen.

WELT ONLINE: Sie haben sich rein äußerlich auch kaum verändert.

Chapman: Nur ein paar graue Haare (lacht). Trotzdem passiert es mir, dass ich alte Fotos von mir sehe und mich kaum erkenne. Ich kann mir oft nicht mehr vorstellen, dass ich das bin. Daran erkenne ich heute, dass ich mich sehr lange nicht selbst definiert habe.

WELT ONLINE: Sondern?

Chapman: Über alles andere. Aber letztlich ist das ein permanentes Ringen. Ich bin da noch nicht fertig.

WELT ONLINE: Sind Sie ein Familienmensch?

Chapman: Ja, wie die meisten Menschen. Aber ich bin auch eine Einzelgängerin, lese gerne, gehe spazieren oder besuche eine Ausstellung. Ich mag es, Dinge allein zu tun. Und bei allem was ich tue, höre ich Musik.

WELT ONLINE: Denken Sie manchmal an das legendäre Konzert an Nelson Mandelas 70. Geburtstag, den Moment, der ihre Karriere startete, zurück?

Chapman: Ich hatte viel Zeit darüber nachzudenken. Es war der perfekte Moment. Ich war da, wo ich sein wollte. Mein Herz war da und das war einfach ich. Es war so aufregend mit diesen Musiklegenden zu spielen. Aber das ist lange her.

WELT ONLINE: Im Juni wurde Mandelas 90. wieder mit einem großen Konzert gefeiert. Wurden Sie da gar nicht wehmütig?

Chapman: Nein, es ist einfach vorbei. Ich weiß nicht warum, aber ich war gar nicht eingeladen.

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