Musikerin Tracy Chapman: “Mandela hat mein Leben verändert”

tracy chapman nelson-mandela 1988

Auf der Riesenbühne nur diese junge Frau mit Gitarre: Tracy Chapman wurde am 11. Juni 1988 aus dem Nichts zum Weltstar. Hier erzählt sie vom Londoner Soli-Konzert für Nelson Mandela – und was dann geschah.

Ein Interview von Alex Gernandt, Spiegel, Sonntag, 11.06.2017 

Tracy Chapman wurde am 30. März 1964 in Cleveland, Ohio geboren, erhielt mit 15 ein Schulstipendium und studierte später Anthropologie. Nebenbei schrieb sie eigene, vom Folk inspirierte Songs mit sozialkritischen Texten und trat als Sängerin und Gitarristin in Cafés auf – und dann auf der ganz großen, der Weltbühne im Wembley-Stadion: 1988 beim “Nelson Mandela 70th Birthday Tribute Concert”. Ihr Debütalbum “Tracy Chapman” wurde mit drei Grammys ausgezeichnet. Sie lebt seit über 20 Jahren in San Francisco.

SPIEGEL ONLINE: Frau Chapman, im April 1988 erschien Ihr Debütalbum – nur zwei Monate später, am 11. Juni, lernten 600 Millionen Menschen Sie kennen.

Chapman: Und das verdanke ich allein Nelson Mandela. Dass ich als Newcomerin bei seinem Geburtstagskonzert in London auftreten durfte, war ein großes Glück. Es war sein 70., obwohl Mandela erst am 18. Juli Geburtstag hatte. Aus organisatorischen Gründen musste das Festival mit Künstlern wie Sting, Phil Collins, Harry Belafonte, Peter Gabriel und Whitney Houston einige Wochen vorher stattfinden. Wir alle feierten Mandela, der noch immer in Haft saß, im ausverkauften Wembley-Stadion.

SPIEGEL ONLINE : Mehr als 70.000 Menschen waren dort, das Konzert wurde in 60 Länder live übertragen. Waren Sie krass nervös?

Chapman: Und wie! Ich war ja blutige Anfängerin und hatte bis dahin nur vor überschaubarem Publikum in Cafés gesungen. Plötzlich stand ich vor dieser Riesenkulisse, zu einem weltbewegenden Anlass. Ich versuchte, mir das Lampenfieber nicht anmerken zu lassen: Einatmen,… ausatmen.… Backstage traf ich Chrissie Hynde, die auch auftrat. Sie kommt wie ich aus Ohio, das verbindet und nahm mir etwas die Angst. Übrigens bin ich noch heute vor Auftritten nervös. Ich glaube, das ist ganz gut so, man strengt sich dann noch mehr an.

SPIEGEL ONLINE : Beim Mandela-Konzert waren Sie erst 24 und noch unbekannt. Wieso traten Sie gleich zweimal auf?

Chapman: Ich ging nachmittags auf die Bühne, spielte wie geplant meine Songs und war überrascht, dass ich gleich so viel Applaus bekam. Später gab es bei Stevie Wonders Auftritt technische Probleme mit einem Keyboard, er musste seinen Gig abbrechen. Zur Überbrückung kam der Veranstalter auf die Idee, mich mit meiner Akustikgitarre noch mal rauszuschicken. Ich performte also ein zweites Mal, so blieben meine Songs wie “Talkin’ bout a Revolution” oder “Fast Car” wohl im Gedächtnis der Fans. Eine tolle Chance – und mein Durchbruch.

Tracy Chapman: “Fast Car” (beim Mandela-Konzert 1988)

SPIEGEL ONLINE : Später konnten Sie Nelson Mandela persönlich kennenlernen. Wie war das?

Chapman: Ein großer Moment, mein Gott, fast 30 Jahre ist das her. Ich traf ihn 1990 in New York, kurz nach seiner Freilassung. Mandela umarmte mich innig und bedankte sich für meine Unterstützung und Solidarität. Das werde ich nie vergessen. Er strahlte große Wärme und Demut aus, mit unbeschreiblichem Charisma. Leider war das Treffen recht kurz. Vorher hatte ich seine Biografie gelesen und Bücher über die Geschichte Südafrikas. Ich war richtig euphorisch, als er nach über 25 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde – und sein Widerstand gegen die Apartheid am Ende doch Erfolg hatte.

SPIEGEL ONLINE : Nach dem Wembley-Konzert verkaufte sich Ihr Erstling weltweit 20 Millionen Mal, in Deutschland sogar öfter als Pink Floyds “The Wall” und Michael Jacksons “Thriller”.

Chapman: Ja, Wahnsinn! Meine Plattenfirma hatte Verkaufszahlen um die 200.000 erwartet und niemand mit so einem Riesenerfolg gerechnet, ich am wenigsten.

SPIEGEL ONLINE : Sie stammen aus der Arbeiterstadt Cleveland in Ohio. War es eine musikalische Kindheit?

Chapman: Meine Eltern, damals noch nicht geschieden, hatten eine ordentliche Plattensammlung. Bei uns zu Hause lief immer Musik. Mein Vater hörte Jazz, meine Mutter eher R&B, Soul und Gospel. Und meine ältere Schwester Aneta sammelte auch Platten, Pop, Rock und Musicalsongs von Barbra Streisand. Nur ich als Jüngste durfte nie über den Plattenspieler bestimmen (lacht). Also beschloss ich mit acht Jahren, selbst Musik zu machen. Dass ich Ukulele, Gitarre und Piano lernte, empfand meine Mutter als nutzlos, als Zeitverschwendung, aber meine Schwester bewunderte mich dafür.

SPIEGEL ONLINE : Wurden Sie in Ihrer Jugend direkt mit Rassismus konfrontiert?

Chapman: Jede einzelne schwarze Person in den USA wird mit Rassismus konfrontiert, bis heute. Leider hat sich da nicht sehr viel zum Besseren gewandelt, man muss ja nur die Nachrichten einschalten. In Cleveland herrschte viel rassistische Gewalt, auch in der düsteren Gegend, in der ich aufwuchs. Dann wurde in den Schulen die Aufhebung der Rassentrennung durchgesetzt – per Gerichtsbeschluss. Dagegen protestierten jede Menge Weiße, was zu großen Spannungen führte und auch zu Aufruhr in den Straßen. Ich hatte oft Angst. Nur mit Musik konnte ich mich etwas ablenken.

SPIEGEL ONLINE : Hatten Sie musikalische Vorbilder?

Chapman: Da waren Folk-Einflüsse, wohl vom Gitarrenunterricht. Gitarrenmusik lief bei uns zu Hause nämlich so gut wie nicht, obwohl meine Mutter ein paar Beatles-Platten hatte. Bob Dylan habe ich erstmals bei einer Freundin von der Highschool gehört und war auf Anhieb fasziniert, auch die Musik von Joni Mitchell und Simon & Garfunkel sprach mich an. Ich mochte diese ruhigen Songs sehr, sie beeinflussten mein Songwriting – aber Helden waren Musiker für mich nie.

SPIEGEL ONLINE : Großes Musiktalent, zugleich glänzten Sie in der Schule – waren Sie ein Wunderkind?

Chapman: Na ja, ich war eine ganz gute Schülerin, aber sicher kein Wunderkind. Mit 15 Jahren bekam ich ein Stipendium für die renommierte Wooster School in Connecticut und ging dann an die Tufts University bei Boston. Das Stipendium war ein großes Glück, mein Lehrer hat das damals in die Wege geleitet. Meine Mutter war gar nicht begeistert und wollte mich nicht gehen lassen, sah dann aber ein, dass ich in Connecticut wohl besser aufgehoben war als im Getto von Cleveland. Als Kind hatte ich immer davon geträumt, eines Tages aufs College zu gehen, nur hatte meine Mutter kein Geld für eine höhere Schule. Sie war froh, wenn sie die Miete zahlen und den Kühlschrank füllen konnte. Man kann sagen, dass mich das Stipendium und die Uni vor dem Getto retteten.

SPIEGEL ONLINE : Wie haben Sie sich zurechtgefunden, allein und so jung?

Chapman: Ich musste schnell erwachsen werden. Das war nicht einfach. Aber die Leute, die ich traf, hießen mich willkommen und halfen mir. Das war unheimlich wichtig, denn für mich begann damals ein ganz neues Leben in einer unbekannten Welt. Ein Abenteuer.

SPIEGEL ONLINE : Mehr als ein Hobby war Musik damals nicht?

Chapman: Nein. Ich schrieb in meiner Freizeit gern Songs, die trug ich dann abends in Cafés, Klubs oder auch mal auf dem Harvard Square in Cambridge, Massachusetts einem kleinen Publikum vor. Ich spielte Folk und Blues, keine populären Hits aus den Charts.

SPIEGEL ONLINE : Und dann hörte Sie ein Kommilitone im “Cappuchino”-Café.

Chapman: Ja, ein junger Typ namens Brian Koppelman, er war eine Stufe unter mir und begeistert von meiner Stimme. Er meinte, sein Vater Charles sei ein wichtiger Manager im Musikbusiness und könne mir helfen, einen Plattenvertrag zu bekommen. Das wollte ich aber gar nicht. Ich wollte lieber weiter studieren, meinen Master in Anthropologie machen und mir dann einen Job suchen.

SPIEGEL ONLINE : Es kam anders. Plötzlich waren Sie in Hollywood und nahmen Ihr Debütalbum auf.

Chapman: Ich ließ mich überreden. Hollywood war ein echter Kulturschock für mich, das kleine Mädchen aus Cleveland. Die Plattenfirma buchte das legendäre Chateau Marmont Hotel, in dem all die großen Stars abstiegen. Es gab keinen Zimmerservice, also fragte ich eines Morgens an der Rezeption, ob sie mir ein Restaurant zum Frühstücken empfehlen könnten – in fußläufiger Entfernung, bitte. Die haben nur gelacht: Niemand in Hollywood geht zu Fuß! Ich kam mir ziemlich doof vor.

SPIEGEL ONLINE : War Ihre Zusammenarbeit mit dem Produzenten David Kershenbaum erfreulicher?

Chapman: Der war eine ganz große Nummer. Er hatte bereits mit Leuten wie Joan Baez, Joe Jackson, Cat Stevens und Supertramp gearbeitet, die ich alle bewunderte. Wir fanden schnell einen Draht zueinander. Meine eigenen Songs in einem professionellen Studio aufzunehmen, hat mir großen Spaß gemacht, ein echtes Erlebnis. Es gibt ein Foto, das David und mich bei der Arbeit zeigt – und ich strahle. Normalerweise lache ich nie auf Fotos. Das sagt alles.

SPIEGEL ONLINE : Über Nacht waren Sie ein Weltstar – wie kamen Sie mit dem Rummel nach dem Wembley-Konzert zurecht?

Chapman: Danach war nichts mehr wie zuvor. Klar war ich happy, dass meine Musik bei den Menschen so gut ankam. Ich hatte aber auch Angst, weil alles so rasend schnell passierte. Und aus Ruhm mache ich mir nichts. Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt – außer wenn ich auf der Bühne meine Lieder singe.

SPIEGEL ONLINE : Haben Sie sich deshalb in den vergangenen Jahren so rar gemacht?

Chapman: Ich habe mir den Luxus gegönnt, nur ausgesuchte Projekte zu machen, von denen ich wirklich überzeugt bin. Vor anderthalb Jahren sind meine besten Songs auf einem Greatest-Hits-Album erschienen, dazu habe ich in der Talkshow von David Letterman “Stand by Me” gesungen. Und ich bin Buddy Guy zu Ehren bei den Kennedy Center Honors in Washington aufgetreten, im Beisein von Michelle und Barack Obama. Ich war also nicht ganz von der Bildfläche verschwunden. Aber ich gebe zu, dass ich nicht mehr so gern auf Tour bin. Das habe ich früher wohl zu extensiv gemacht.

SPIEGEL ONLINE : Und wie verbringen Sie heute Ihre Tage?

Chapman: Ich bin glücklich, in San Francisco, einer der schönsten Städte Amerikas, zu leben. Oft bin ich am Strand oder gehe wandern, bin in der Natur unterwegs und auch gern unter Menschen. Ich will mich nicht zu Hause verbarrikadieren müssen, sondern am Leben teilnehmen, denn nur da finde ich neue Themen und Inspiration für meine Lieder. Und eines ist auch klar: Für die Rente bin ich definitiv noch zu jung.

SPIEGEL ONLINE : Stimmt es, dass Sie Ihre Songs am liebsten im Bett schreiben?

Chapman: Auf jeden Fall steht direkt daneben eine Gitarre. Man weiß ja nie.

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