2008 – Nein-danke-Frau

By Von Antje Wewer, Sueddeutsche Zeitung, November 22, 2008

Die Gute, Aufrechte und Engagierte im Popgeschäft: Seit zwanzig Jahren singt Tracy Chapman vom Frieden und von der Revolution. Besuch bei einer rührend Kompromisslosen.

Diese Handtasche. Man sieht die Handtasche und erinnert sich plötzlich wieder daran, dass Abiturientinnen in den Achtzigern genau diese kleinen olivfarbenen Armee-Beutel trugen, auf die sie mit Eddingstiften Peace-Zeichen gemalt hatten. Dazu hörten sie Tracy Chapmans Protest-Ohrwurm “Talkin’ bout a Revolution”.

Ein paar Jahre zuvor noch hatte die Gruppe “The Clash” ihre Fans mit politischen Punksongs wie “White Riot” auf die Straßen getrieben. Der Umsturz, von dem Tracy Chapman sang, hatte dagegen überhaupt nichts mit Wut oder Aufbegehren zu tun. Ihre Fans warfen nicht mit Bierdosen, sondern machten es sich nachdenklich mit einem Wohlfühltee auf dem Sofa gemütlich. Sie waren gegen Golfkrieg, sauren Regen und Tierversuche – aber so richtig zornig wurden sie nie. Tracy Chapmans Aufruf zur Revolution war ja selbst kaum mehr als ein Flüstern.

Und genauso samtig wie damals kommt sie einem heute, zwanzig Jahre später, wieder entgegen – mit der Armee-Beutel-Handtasche. Die ausgestreckte Hand des Gegenübers lässt sie in der Luft hängen und sagt: “Entschuldigung, aber ich bin erkältet und ich will Sie auf keinen Fall anstecken.”

Sie trägt schwarze Jeans zu schwarzem T-Shirt unter einem schwarzen Sakko. Unaufgeregter könnte ein Outfit nicht sein. Zwischendurch taucht sie immer mal hinter ihrem dicken Schal ab.

Ein Auftritt, der alles verändert

Die leise Revolution der Tracy Chapman begann 1988 im Wembley Stadion. Über Nacht wurde sie durch ihren Auftritt zu Nelson Mandelas 70. Geburtstag bekannt, der weltweit übertragen wurde. Stevie Wonder hatte Probleme mit seinen Keyboards, also ging Chapman zum Überbrücken ein zweites Mal mit ihrer Akustik-Gitarre auf die Bühne und sang ein paar Songs ihres Debütalbums: “Fast Car”, “Baby can I hold You” und wieder “Talkin’ bout a Revolution”: eine junge Frau mit kurzen Dreadlocks und den traurigsten braunen Augen der Welt, die mit ihrer melancholisch-eindringlichen Stimme 70000 Zuschauer verstummen ließ.

“Nach diesem Auftritt war nichts mehr wie vorher”, erzählt Chapman leise und lächelt so reizend zaghaft, dass man von diesem Moment an gerne darüber hinwegsieht, dass ihre Sprechstimme eher spröde als melodisch klingt.

Vor dem Auftritt im Wembley Stadion hatte sie gerade ihr Anthropologie-Studium in Medford, Massachusetts, abgeschlossen. Aufgetreten war sie bis dahin immer nur vor einer Handvoll Studenten in kleinen Bars in Boston. “Danach”, sagt sie, “wollten meineFreunde nicht mehr mit mir ins Kino gehen, weil mich ständig Leute ansprachen oder mir “Like a whisper” zuflüsterten.”

Tracy Chapman ist jetzt 44 Jahre alt, ihre Dreadlocks trägt sie mittlerweile zum Zopf gebunden, und vorne schlängeln sich ein paar graue Strähnen durchs Schwarz.

“Damals war ich unglaublich scheu”, sagt Chapman, als läge die Schüchternheit lange hinter ihr; dabei weicht sie jedem Blick aus, der länger als fünf Sekunden auf ihrem Gesicht liegt. Sie sitzt auf der Kante des Sofas, die Arme auf die weit auseinanderliegenden Knie gestemmt. Zwanzig Jahre sind vergangen, und Chapman hat gerade ihr achtes Album “Our bright future” herausgebracht. Wie ist es geworden? Ist sie zufrieden? “Was ich gut kann, ist Musik machen. Was ich schlecht kann, ist: darüber reden.”

Also reden wir über San Francisco, die Stadt, in der sie seit den Achtzigern lebt, “seit ich genug Geld habe zu entscheiden, wo ich leben will. Dort sind milde Winter, keine heißen Sommer. Nach Los Angeles würde ich nicht passen, ich lächle zu wenig.”

Worüber sie auch nicht redet, ist ihr Privatleben. Dass sie mal Mitte der Neunziger eine Beziehung mit der afroamerikanischen Schriftstellerin Alice Walker hatte, behielt sie immer für sich. Alice Walker dagegen schwärmte erst letztes Jahr im Guardian über diese, wie sie sagte, tiefe und schöne Liebe. Bis jetzt gab es kein offizielles Coming-out von Chapman, und es wird wohl auch nie eins geben.

Wie immer hat Chapman ihre neuen Songs selber geschrieben. Sie handeln, natürlich, von Liebe, dem Weltfrieden und von Gott, der uns hoffentlich alle, auch die Sünder, retten wird. “Die Texte schreibe ich immer zu Hause, meistens am frühen Morgen. Ich habe als Teenager damit angefangen, und schon damals war mein Bett mein Rückzugsort.”

Aufgewachsen ist Tracy Chapman im schwarzen Arbeiterviertel von Cleveland, Ohio, mit ihrer alleinerziehenden Mutter. “Die einzige Person, die mich unterstützt hat, war meine Schwester. Der Rest meiner Familie sah überhaupt keinen Sinn darin, dass ein schwarzes Mädchen Gitarre spielen wollte. Es hat viel Kraft gekostet, trotz ihrer entmutigenden Kommentare weiterzumachen.”

Das klingt so traurig, dass man ihr sofort eine wärmende Kaschmirdecke über die Schultern legen möchte, obwohl sie alles andere als Bedürftigkeit ausstrahlt. Und schließlich sitzt da auch eine Frau, die seit zwanzig Jahren im Musikgeschäft ist, eine, die es geschafft hat, sich treu zu bleiben, auch ohne Titelgeschichten und Top-Ten-Platzierungen.

Reduktion als Geheimnis

“Ich habe früh gelernt, dass ich mein eigener Maßstab bin”, sagt sie. “Das macht einen einsam, aber auch sehr frei. Ich komme gut klar ohne die Bestätigung von Managern, Produzenten, den Medien.”

Hat sie denn überhaupt keine Kompromisse in all den Jahren gemacht? Lange Pause. Dann fällt ihr ein: “Einmal hat mich ein Produzent dazu überredet, dass ich ein Album mit Beatschleifen machen soll. Ein Fehler.”

Reduktion war immer das Geheimnis von Chapman. Noch bis vor kurzem hatte sie eine eher rudimentäre Homepage, auf der lediglich ihre Tourneedaten standen. Mit “Our Bright Future” gibt es nun auch eine ambitionierte neue Seite, auf der alle ihre Texte nachzulesen sind. “Ich habe mich davon überzeugen lassen, dass auch ich so was brauche. Meine Fans achten sehr auf die Lyrics, ihnen geht es bei den Songs um die Botschaft, mein Image ist ihnen egal”, sagt Chapman.

Anderen ist es offenbar nicht so gleichgültig. Chapman singt für Amnesty International, die amerikanische Aids-Stiftung, Free Tibet und die Anti-War-Lobby. Sie hat Barack Obama unterstützt sowie die Kampagne gegen die Abschaffung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Kalifornien.

Nein, danke

Tracy Chapman steht für das Gute, das Aufrechte, das Engagierte im Popgeschäft. Deswegen flattern ihr Woche für Woche ein Dutzend Anfragen für Benefiz-Konzerte ins Haus. “Die Leute reagieren immer sehr enttäuscht, wenn ich absage. Die meisten denken, good old Tracy wird schon mitmachen und trauen mir nicht zu, dass ich nein sagen könnte.”

Dabei kann Chapman genau das sehr gut: nein sagen. Es ist das simple Geheimnis ihres beständigen Erfolgs. Seit Jahren wird sie immer von Stylisten angesprochen, die ihr bei ihrem “Look” helfen wollen. “Nein, danke”. Tracy Chapman kichert. Doch wirklich, sie kichert. “Ein Paar High Heels habe ich im Schrank, hübsch anzuschauen, nie getragen.”

Nein, danke, also – Tracy Chapman bleibt die sanfte Revolutionärin. Ihr Haus reinigt sie mit Öko-Reinigungsmitteln, zum Einkaufen nimmt sie ihre eigene Tragetasche mit und in ihrem Garten baut sie ihr eigenes Gemüse an. Auf ihrer Homepage fliegen Möwen, Eltern gehen mit ihren Kindern spazieren, ein Fahrrad lehnt an einem Baum. Es ist, alles in allem, eine schöne, friedliche Welt, die sich der Betrachter mit einem kleinen Pinsel in seinen Lieblingsfarben weiter ausmalen kann. Dazu werden Chapmans Balladen gespielt. Weltfrieden, er ist möglich. Zumindest zu Hause, auf dem Sofa mit Tracy.

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