2005 – Die Selfmade Woman ist zurück

Stefan Woldach, Teleschau, 12.09.2005

Sängerin Tracy Chapman

(tsch) Es wurde mucksmäuschenstill im altehrwürdigen Wembley-Stadion beim “Concert For Mandela”, als die junge Songwriterin ganz allein mit ihrer Gitarre auf der riesigen Bühne stand. Tracy Chapman, eine unbekannte Songwriterin aus Cleveland, Ohio, vermochte es, mit einer intensiven Performance, eindringlichen Texten und einer verbindlichen Stimme zum Sprachrohr jener zu werden, die sich nicht selbst artikulieren können. Und natürlich hat sie jetzt, bald zwei Jahrzehnte später, nicht nur etwas zu ihrem neuen Album “Where You Live” zu sagen, sondern auch zu “Live 8”, dem letzten großen weltumspannenden Konzert-Event.

teleschau: Warum hast Du, als eine der wichtigsten Stimmen gegen soziale Ungerechtigkeit nicht an diesem Mega-Event teilgenommen?
Tracy Chapman: Ich bin gefragt worden, habe aber dankend abgelehnt. Ich fand es unmöglich, dass so ein Event, das zu einem großen Teil den afrikanischen Kontinent betrifft, stattfindet, ohne dass afrikanische Künstler daran teilnehmen. Deswegen habe ich mich dagegen entschieden. Versteh’ mich nicht falsch: Ich hoffe, dass “Live 8” einen sehr positiven Effekt haben wird. Ich hoffe, dass viele Menschen sich für den Schuldenerlass der so genannten Dritten Welt einsetzen und den Politikern Druck machen.

teleschau: Eine konsequente Haltung.
Chapman: Ich verstehe Bob Geldofs Position, der versucht hat, so viele Künstler wi emöglich zu bekommen, um ein weltweites Interesse zu wecken. Er hatte jedoch Bedenken, dass es kein großes Medieninteresse geben würde, wenn afrikanische Künstler auftreten würden, die in der Welt der Popmusik keiner kennt. Dabei wäre es einfach gewesen, diese Künstler zu integrieren, indem man sie mit westlichen Bands gemeinsam auftreten hätte lassen. Ich bin mit dieser Umsetzung jedenfalls nicht einverstanden. Deshalb wollte ich nicht mitmachen. Ich habe sogar gehört, dass die auftretenden Künstler von den Organisatoren gebeten wurden, auf der Bühne keine kritischen Kommentare zu George Bush oder Tony Blair abzugeben. Das ist eine Bevormundung, da gerade diese beiden Politiker wegen ihrer Haltung zur Dritten Welt in der Kritik stehen.

teleschau: Hat Musik heutzutage noch die Kraft und den Ehrgeiz, die Welt zu verändern? Gerade im Bereich der Black Music hat sie auf der Bedeutungsebene stark verloren. Die war immer mit sozialen Inhalten gekoppelt. Heute dagegen scheint es vor allem im HipHop nur noch um Statussymbole zu gehen.
Chapman: Ich kann wohl kaum etwas dagegen sagen, befürchte ich. In der Pop-Musik gibt es gewaltigen Druck und eine nicht minder große Einflussnahme der Plattenfirmen auf die Künstler, die heutzutage so ziemlich alles tun, um Erfolg zu haben. Ich bin jetzt seit einigen Jahren im Musikbusiness. Es gab eine Zeit, in der haben Leute bei Plattenfirmen gearbeitet, weil sie Musik lieben. Sie hatten Visionen und wollten der Öffentlichkeit künstlerische und kulturelle Werte anbieten. Dass das heute immer seltener der Fall ist, liegt unter anderem daran, dass viele kleine, unabhängige Labels von großen, international aufgestellten, Plattenfirmen geschluckt werden. Das ist meinem Label auch passiert, und heute bin ich eine Künstlerin eines Branchenriesen. Viele Plattenfirmen betrachten Musik heute nur noch als “Content” (zu deutsch: Inhalt), anstatt als Kunst. Einige Musiker und Bands erliegen dem Druck und verkaufen sich selbst, gerade junge Künstler haben es schwer, gegen den Strom zu schwimmen. Und damit sind wir beim HipHop: Ich kann es ihnen nicht verdenken, dass junge HipHopper den Leuten da draußen zeigen wollen, dass sie es geschafft haben, mit ihren dicken Autos und ihren glitzernden Klunkern.

teleschau: Kommen wir zu Deinem Album. Da gibt’s sehr ruhige Akustikgitarren-Songs wie “Love’s Proof”, aber auch sehr rockige Nummern wie “America”. Sind die Kontraste in Deiner Musik schärfer geworden?
Chapman: Vielleicht. Es gab keinen generelle Herangehensweise an die Platte oder die Produktion. Ich habe jeden Song individuell behandelt, was die Auswahl der Musiker, die Instrumentierung, die Aufnahme oder Produktion betraf. Das mag zu diesen Kontrasten geführt haben.

teleschau: Du giltst als sehr ernsthaft, in den USA nennen sie Dich schon mal einen “downer”, dabei bist Du auch sehr humorvoll. Ist das eines der großen Missverständnisse um Tracy Chapman?
Chapman: Nein, das ist ein tolles Kompliment! (lacht) Okay, ich habe schon oft gehört, dass die Leute denken, ich hätte keinen Humor und würde zum Lachen in den Keller gehen. Dagegen kann ich nichts machen. Aber ich kann es verstehen. Ich schreibe nun mal ernsthafte Songs.

teleschau: Glaubst Du, Dein Bild in den Medien entspricht der Realität?
Chapman: Ich weiß es nicht, das ist schwer zu beurteilen. Ich lese mir grundsätzlich nicht durch, was über mich geschrieben wird. Ich will’s gar nicht wissen. Die Menschen können sowieso nur ein unvollständiges Bild von mir haben, weil sie eben nur eine halbe Stunde Musik hören.

teleschau: Du versuchst grundsätzlich, Dein Privatleben aus den Medien zu halten. Trotzdem: Was macht Tracy Chapman, wenn sie nicht auf der Bühne steht?
Chapman: Eine Menge Dinge, die wiederum mit meiner Musik zu tun haben. Entweder versuche ich kreativ zu sein und Songs oder Texte zu schreiben, ich nehme eine Idee auf, oder ich übe einfach. Es findet auch eine Menge Arbeit hinter den Kulissen statt – viel administrativer Kram, Papierkrieg, Telefonanrufe, Mails, Korrespondenz. Das sind nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigungen.

teleschau: Und wie sieht ein perfekter “Day Off” aus?
Chapman: Ich lese oder treffe Freunde. Ich gehe gern ins Kino. Und ich habe angefangen, Sport zu machen. Ich habe an einer Benefiz-Fahrrad-Tour teilgenommen, für Leute, die an HIV erkrankt sind. Das war ein 600-Meilen-Rennen von San Franscisco nach Los Angeles. Ich trainierte mit Freunden, fünf Tage die Woche, drei Monate lang, um diese Distanz zu schaffen.

teleschau: Typisch Tracy Chapman: Sie macht nicht nur Sport für sich, sondern auch gleichzeitig für einen guten Zweck …
Chapman: Genau! Aber die Aktion war ein voller Erfolg. Wir haben eine Menge Geld gesammelt.

teleschau: Da wird gerade beim Thema Geld sind: Fühlst Du Dich schuldig, wenn Du Dir von Deinem Geld hedonistische Luxusgüter kaufst?
Chapman: Nein, überhaupt nicht! (lacht) Ich komme aus armen Verhältnissen, bin sehr bescheiden aufgewachsen und weiß, wie es war, nicht mal die einfachsten Dinge wie Schulbücher oder Klamotten zu besitzen. Ich gestehe: Heute verwöhne ich mich und kaufe mir ab und zu ein paar nette Sachen. Und ich fühle mich nicht schuldig dabei.

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