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2003 – Let It Rain Tour – February 27, Frankfurt, Jahrhunderthalle

REVIEWS

  • Traurige Lieder vom gemeisterten Leben – Von Wolfgang Spindler, fr aktuell, 28.02.2003

Tracy Chapman ist sich treu geblieben, wie sie in der Jahrhunderthalle demonstriert

Selten waren in der Geschichte von Blues, Jazz, Folk und Rock schwarze Frauen nicht nur großartige Sängerinnen, sondernauch außergwöhnliche Komponistinnen. Da fällt einem vielleicht die Engländerin Joan Armatrading ein, die 1980 mit ihrem Album Me Myself I bewies, daß auch eine Schwarze das Zeug zur erfolgreichen Liedermacherin haben kann. Aber in den USA? Fehlanzeige. Dort gaben in der Popmusik weiße Frauen den Ton an, Joan Baez, Janis Joplin, Linda Ronstadt, Carole King, Emmylou Harris – Frauenmusik war in den USA überdies noch fremdbestimmt von Männern, die Text und Melodie lieferten.

Aber dann betrat am 11. Juni 1988 im Londoner Wembley-Stadion Tracy Chapman die Weltbühne: Eine junge schwarze Frau, damals 24, sang allein mit ihrer Gitarre selbstkomponierte Lieder für Nelson Mandela, den Frieden und das Ende der Rassentrennung in Südafrika, live übertragen für eine Milliarde Fernsehzuschauer. Die Tochter eines armen Schwarzen-Haushaltes in Ohio hatte an der Hochschule gerade in Afrikanistik graduiert, und nun eroberte sie mit ihren wie ratlos wirkenden Liedern über Bettler und Sozialhilfeempfänger, über Revolutionen und machistische Revoluzzer im Nu die Herzen der Welt. Auch die in Wembley versammelte Rock-Elite staunte, dass eine Newcomerin ohne jegliches Tamtam so in den Mittelpunkt des gemeinsamen politischen Anliegens treten konnte.

Tracy Chapman ist sich bis heute in dieser Sache treu geblieben. Fünf Grammys und 34 Millionen verkaufte Schallplatten später tritt sie noch immer mit der gleichen Attitüde auf: Hier bin ich, und ich kann nicht anders. Der nun schon 15 Jahre konservierte Weltruhm scheint spurlos an ihr vorübergegangen zu sein. Sicherer als in Wembley, ohne Frage, doch sie macht immer noch keine großen Worte. Sie liefert keine Bühnenshow. Ein Statement gegen den drohenden Krieg gegen den Irak? Sie spielt auf dieser Deutschlandtournee ihr Lied von der zweiten CD Crossroads; es handelt von Präsidenten, die ihr Volk nicht vertreten. “Ich glaube,” sagt sie dazu, “es ist passend, es heutzutage zu spielen.” Fast frenetisch der Applaus ihres Publikums.

Chapman ist im Laufe ihrer Karriere immer wieder bei großen Wohltätigkeitskonzerten aufgetreten, für Demokratie in Südafrika, für die AIDS-Hilfe, für Amnesty International. Sie ist in gewisser Weise die schwarze Joan Baez: immer dort, wo es im alten Sinne politisch korrekt ist, nie sonderlich eitel und beflissen, sondern engagiert und ehrlich bis zur Rührigkeit. Was hat sich denn auch geändert seit 1988 ? Die Unterdrückung der Schwarzen in Amerika? Man höre Across the Lines von ihrer ersten CD: “Who would dare to go/ under the bridge/ Over the tracks/ That seperates whites from blacks.” Ihr deutsches Publikum versteht und applaudiert.

Chapmans Timbre, dieser markante Singsang zwischen Sporan und Alt, bleibt gleich: seit 15 Jahren, bei jedem ihrer Songs, ob mit oder ohne Band. Es klingt traurig schön. Komplimente aus dem Pulikum ignoriert sie. Es geht nicht um sie.

Dennoch darf keiner ihrer fünf Mitmusiker ein Solo spielen. Tracy Chapman trägt ihre Texte vor. Daran gibt es wenig zu rütteln, und sie macht auch keinen Hehl aus der Tatsache, dass ihre ersten beiden Schallplatten das beinhalteten, was sie zu sagen hatte. Das waren auch die Songs, die im Gedächtnis blieben wie ihr größter Hit Fast Car. Ihr neues Album heißt Let it Rain, fast fatalistisch, doch nicht mutlos: Tracy Chapman erinnert an ein paar Grundsätze. In Deutschland kommt das inzwischen fast so gut an wie der Patriotismus von Bruce Springsteen. Doch mit ihm hat Tracy Chapman nicht das geringste zu tun. Und so ziemt es sich auch für die erste schwarze Singer-/Songwriterin der Neuen Welt. Musikalisch interessanter, abwechslungsreicher dürfte es freilich durchaus sein.

  • Kehrseite des “American Dream” – Von: Kurier-Redakteur Herbert Heil, Wiesbadener Kurier, 01.03.2003

Tracy Chapman als musikalisches Gewissen in der Jahrhunderthalle

Am 11. Juni 1988 stand eine junge schwarze Folksängerin schüchtern und allein auf der Bühne im Londoner Wembley-Stadion und faszinierte ein globales Fernsehpublikum beim Konzert für Nelson Mandela mit den klaren bewegenden Songs ihres Debütalbums. Quasi über Nacht wurde die sympathische Sängerin und Gitarristin aus Cleveland/

Ohio zum Star. Mit einer Musik, die als ehrlich und handgemacht gilt, hat die inzwischen 38-jährige promovierte Anthropologin schon viele Millionen Platten verkauft und etliche Grammys errungen. Jetzt war sie im Rahmen ihrer Deutschland-Tournee auch in der ausverkauften Jahrhunderthalle zu Gast.

Und wahrlich, Tracy Chapman enttäuschte ihre Fans im klangakustisch perfekten Saal nicht. Die typische Mischung aus klagendem Gesang und harmonischer Akustikgitarre hat oberste Priorität. Wenngleich die Protestsongs nicht mehr so sehr im Vordergrund stehen, wie ihre aktuelle CD “Let It Rain” deutlich macht. Das knapp zweistündige Programm speist sich zu einem Drittel aus Liedern ihres Debütalbums aus dem Jahre 1988, zu einem weiteren Drittel aus Songs der neuen Platte. Dazu Lieder aus den Alben “Crossroads”, “Matters Of The Heart”, “Telling Stories” sowie “New Beginning”. Und auch zwei Cover-Versionen gibt sie ganz zum Schluss als Zugaben zum Besten. Zum einen Bob Marleys “Get Up, Stand Up” und zum anderen das ekstatische “Proud Mary”, das viele noch von Tina Turner im Ohr haben dürften.

Tracy Chapman liebt im Grunde aber mehr das Getragene, die warme musikalische Umarmung. Nicht von ungefähr ist sie so was wie das musikalische Gewissen der Musikbranche. Viele sehen in ihr die schwarze Joan Baez. Die flehend eindringliche Stimme gibt den melancholisch-minimalistischen Balladen den letzten Schliff. Tracy Chapman transportiert Botschaften. Die Texte sind politisch und sozialkritisch. Sie beleuchten die Trostlosigkeit des Alltags und die Kehrseite des “American Dream”. Angesichts des drohenden Irak-Kriegs sprach Chapman davon, dass George W. Bush die Proteste der Menschen nicht einfach ignorieren könne.

Manchmal sind die Lieder aber auch “nur” Liebeslieder, die unter die Haut gehen. Wie etwa ihr alter Hit “Baby Can I Hold You” oder das innige “I Am Yours” von der aktuellen CD. Mit “Say Hallelujah” gibt es einen lupenreinen Gospel. Fulminant auch “Another Sun”, ein nach viel Leidenschaft duftender Song. “Talkin’ About A Revolution”, einer ihrer größten Hits, durfte auch an diesem Abend nicht fehlen. “Die Armen werden sich erheben und werden bekommen, was ihnen zusteht”, singt sie und ihre langen Dreadlocks schwingen im Takt mit.

Ihre sechs ausgezeichneten Musiker zeigen ihre Virtuosität nicht vordergründig und machen einen großen Bogen um jede Effekthascherei. Sie dienen ihrer Chefin, und die nimmt die starken Impulse und Vibrationen gerne auf, wenngleich sie die ganz großen Emotionen doch lieber für sich behält. Erst bei den Zugaben gibt sie sich einen Ruck und lässt den Gefühlen freien Lauf. Die Fans sind begeistert und feiern ihren (Anti)-Star aus voller Kehle und mit viel Beifall.

  • Von der Fron der Frontfrau: Tracy Chapman spielt ein großartiges Frankfurter KonzertVon: Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.03.2003, Nr. 51, S. 35

Einmal, es ist das siebte Stück des Konzerts, steht die Sängerin allein vor dem Mikrophon, ohne die schützend umgeschnallte Gitarre, ohne die sechsköpfige Bandim Hintergrund. Das müssen Momente sein für Tracy Chapman, die sie an ihrem Beruf zweifeln lassen, denn nun ist sie den Zurufen des Publikums ausgeliefert.

Schon bevor sie auch nur eine Note gespielt hatte, als sie zu Beginn des Abends als letzte auf die Bühne kam, schrie es aus dem ausverkauften Saal: “Ich halt’s nichtmehr aus!” Man bekommt beinahe Angst. Was hat denn diese Frau, daß ihre Fans sich gebärden, als stünde da eine Erlöserin auf der Bühne?

Es ist nicht die Gestik einer Schmerzensfrau, ein schüchternes Lächeln bleibt fast die ganzen zwei Stunden auf ihrem Gesicht. Doch dahinter, das macht jede Bewegung klar, jede Reaktion der Sängerin auf das tobende Publikum, steckt eine Frau, der dieser Aufruhr vor ihr unverständlich ist. Eine Frau, die auch nur mit Staunen zusehen kann, wie ihr Gitarrist Joe Gore einem Berserker gleich sein Instrument malträtiert, dann wieder in angenehmes Gliederzucken verfällt, bevor er sich in eine Haltung zurückzieht, die man für Desinteresse halten müßte, wenn Gore nicht binnen Augenblicken wieder mit einzelnen Riffs die ganze Stimmung eines Lieds verändern könnte. Dennoch hat er wohl im Verlauf des Konzerts seine Linke öfter in der Hosentasche als an den Saiten. Und diese Lässigkeit, diese Exaltiertheit bestaunt Tracy Chapman immer wieder: So sieht wohl ein Rockstar aus. Warum gilt der Jubel ihr? Deshalb lacht sie so unbeschwert, wenn ihr Zitteraal von Gitarrist einen unbeholfenen Schlenkerschritt exerziert oder sein Instrument unter den Arm klemmt, als trage er ein Bügelbrett mit sich herum. In diesen Sekunden steht ein anderer im Fokus, die Frontfrau ist von ihrer Fron erlöst.

Dieses freie Lachen der Tracy Chapman ist etwas, was ihr Publikum nie bekommen wird. Auch nicht bekommen darf, wenn es beim Ruf einer großen Songschreiberin bleiben soll, des als schwarze Frau neugeborenen Bob Dylan, wie man sie oft charakterisiert hat. Nun also steht sie nach sechs Stücken allein vor dem Mikrophon, ihr markantes Vibrato füllt die Frankfurter Jahrhunderthalle, und mit einemmal verstummen alle Zwischenrufe. Niemand brüllt mehr, wie schön sie doch sei, was für eine Legende und dergleichen mehr, denn plötzlich wird klar: Die Legende, die Schönheit, das ist alles Klang. Es ist nicht wichtig, was Tracy Chapman singt, von den letzten Nächten einer Liebe, von den Lügen des Präsidenten; wichtig ist, daß sie singt, daß es diese Stimme abseits aller üblichen Klangmanipulationen wirklich gibt, daß es gelingt, ein Konzert zu
geben, das selbst die Erwartungen jener erfüllt, die nur gekommen sind, um einen Star zu feiern. Auch sie hören für zwei, drei Minuten eine Stimme, die unvergleichlich ist, die keinen Körper braucht, und diese Geisterscheinung von Klang
ist es, was die Faszination von Tracy Chapman ausmacht. Die Anspannung, der Unglaube angesichts der eigenen Wirkung, die Irritation durch Zurufe – das alles ist verziehen, weil nichts davon die Essenz dessen berührt, was Tracy Chapman ausmacht. Die Größe dieser Stimme macht uns Angst.

Am Vortag, das erzählt sie im einzigen gelösten Moment des Konzerts, habe sie das Museum für Moderne Kunst besucht: “Scary and inspiring” sei es gewesen, und “I had my culture yesterday”. Dann bricht sie die Erzählung ab. In dieser beiläufigen Bemerkung aber steckt der Kern des Selbstverständnisses einer großen Künstlerin: Kultur ist das, was andere machen. Sie macht lediglich ihren Job, wenn sie auf der Bühne steht, deshalb braucht sie keine Angst zu haben. Und diesen Job macht sie perfekt, auch wenn jede Schwingung im Saal die Geistererscheinung Tracy Chapmans fortzutragen droht. Sie muß ihre Erzählung auch gar nicht fortführen, wir wissen doch, wie sie zu schließen hat: “You will have your culture tonight.” Angsteinflößend und inspirierend – besser kann man den Abend schwer zusammenfassen.

Submitted by: Claudia/Joy

VENUE: Jahrhunderthalle Frankfurt, Pfaffenwiese, 65929 Frankfurt-Hoechst Germany
PROMOTER: MCT Konzertagentur GMBH
OPENING ACT: Pape & Cheikh

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